"Zum Verwechseln ähnlich"
Was äußerlich ähnlich aussieht, muss sich im Wesen nicht ähnlich sein. Eineiige Zweillinge sind trotz ihrer vielen Gemeinsamkeiten zwei eigenständige Menschen, die ganz unterschiedliche Lebenswege gehen können.
Wer einen Brief schreibt, kann schon mit wenigen Worten aus einem respektvollen, höflichen Schreiben, ein unverschämtes machen.
Mit entsprechender Mimik und Gestik, dem entsprechenden Tonfall können ernste Worte zu lustigen werden oder für den Angeredeten das Gegenteil des Gesagten bedeuten.
Ich lese einen Roman und was ich da lese, entspricht so dem selbst Erlebten und Erfahrenem, auch gibt es die darin genannten Orte, so dass ich mich frage, ob das Geschilderte dort wirklich passiert ist. So viel Ausdenken kann sich einer doch gar nicht! Oder hat er etwas, was er woanders erlebt hat, nur an diesen Ort verlegt, damit ihn die damals beteiligten Personen nicht wegen Beleidigung verklagen können? Gab es die im Roman beschriebenen Personen wirklich? Hatten sie nur andere Namen? Bei einigen ist das ganz eindeutig. Die genannten Politiker sind bekannt, auch die Künstler. Aber die anderen? Ja, das würde ich gerne wissen, bin doch durch das Lesen neugierig geworden.
So fragen sich seit alter Zeit auch immer wieder Leser der Bibel. Manche gehen davon aus, dass das dort Geschriebene "Gottes Wort" ist und also wahr. Sie meinen, dass es verboten wäre, daran etwas zu bezweifeln.
Anderen und dies vermehrt seit dem 19. Jahrhundert fallen Widersprüche auf: Hier steht das und ein paar Seiten weiter das genaue Gegenteil. Gleich auf der ersten Seite wird die Schöpfuung des Menschen so erzählt und auf der 2. und 3. Seite ganz anders. Wie kann das sein? Und solche Beispiele gibt es noch viele.
Vielen ist das zu dumm oder zu anstrengend und sie schlagen dieses Buch schon nach wenigen gelesenen Seiten wieder zu. Es ist ja klar, heute sind wir viel klüger als die damals, wissen, dass die Erde eine Kugel ist und wie sie und das ganze Universum entstanden sind.
Wissenschaftler fragen und überlegen, wer diese Texte geschrieben haben könnte und welche anderen Texte vermutlich auch noch, auch welche kulturellen Einflüsse es möglicherweise gab. Da dies nach zwei bis dreitausend Jahren nicht so eindeutig festzustellen ist, gibt es inzwischen jede Menge Theorien darüber. Interessant ist das schon, in diese antiken Zeiten hinabzutauchen, aus der uns noch beeindruckende Bauwerke erhalten sind, die diese uralten Kulturen für uns heute noch sichtbar und erlebbar werden lassen, wenn wir entsprechende Länder besuchen.
Aber: Wer etwas liest, bringt immer ein Vorverständnis für das mit, was er lesen wird. Ein Brief mit einer Rechnung wird anders gelesen als ein Liebesbrief, ein Vertragsangebot oder einer vom Ordnungsamt. Für einen Krimi ist es wichtig, dass er spannend ist, nicht ob der Mord auch wirklich passiert ist. Eine Fabel erzählt uns nichts über Tiere, wohl aber über uns Menschen.
In der Sammlung von Texten, die in der Bibel zusammengefasst werden, geht es um uns Menschen, um uns alle, so unterschiedlich wie wir sind, um Männer, Frauen und Kinder, um Gesunde und Kranke und Behinderte, um Mächtige und ihre Untertanen, Reiche und Arme, Sklaven und ihre Herren, Geschwister und Freunde, alte und junge Leute, Einheimische und Fremde, ... - Uns allen wird ein Spiegel vorgehalten. Wenn wir mehr über uns selbst, unser Leben und unsere Gesellschaft heute erfahren möchten, dann lohnt es sich, sie zu lesen. Damit wir aber nicht etwas missverstehen, ist es gut, gewisse Ähnlichkeiten zu durchschauen, die dieses Buch und das Deutsch in ihm mit anderen Büchern heute haben. Sie könnten unsere Gedanken fehlleiten und uns die Illusion vermitteln, dass wir etwas richtig verstanden haben.