Illusionen über Vorbilder
Wir hören von Kindheit an viele Namen, die man offensichtlich kennen muss. Um zu verstehen warum, werden uns Geschichten erzählt, heute nennt man sie oft "Narrative". Sie erklären uns, was dieser Mensch Gutes getan hat und warum er uns ein Vorbild ist.
Am bekanntesten ist vielleicht der 6.12. als Nikolaustag. Am 11. November, dem Martinstag. wird in katholischen Kirchen Kindern, die Geschichte erzählt, wie St. Martin seinen Soldatenmantel in zwei Hälften schnitt und die eine Hälfte einem frierenden Bettler gab. Vom Nikolaus ist vielleicht noch bekannt, dass er als Bischof drei Töchtern einer armen Familien heimlich ein Geschenk machte. Bekannt ist, dass solche und andere Vorbilder als Heilige in den orthodoxen Kirche und der katholischen Kirche schon seit vielen Jahrhunderten verehrt werden. Ihre Taten, die oft nur durch Legenden überliefert sind, deren historischer Gehalt nicht verifizierbar ist, gelten als vorbildlich.
Auch wir Evangelischen haben unsere Vorbilder, auch wenn wir sie nicht Heilige nennen, nicht zu ihnen beten und nicht zu Schutzpatronen ernennen. Da ist zuerst Martin Luther. Es hat fast 500 Jahre gedauert, dass außer seinen Gegnern, auch Lutheraner an ihm Seiten zu nennen fanden, die nicht vorbildlich sind.
Ein weiterer Name von oft Geehrten ist Johann Hinrich Wichern, dem Gründer der Inneren Mission in Deutschland. Auch andere sozial Engagierte und Gründer von Krankenhäusern und Heimen im 19. Jahrhundert werden geehrt.
Für uns als Deutsche sind alle, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus ihr Leben verloren oder im Gefängnis saßen, Vorbilder und werden es hoffentlich auch bleiben.
Dazu gibt es die vielen Erfinder und Entdecker im Bereich der Wissenschaften wie Einstein, Menschen bei denen es reicht, nur den Nachnamen zu nennen und jeder weiß, wer gemeint ist.
Ähnlich ist es im Bereich der Kultur, der Stars auf der Bühne, im Fernsehen, in Filmen...
Illusionen nenne ich diese geläufigen Narrative über solche Menschen, weil darin nur sehr einseitig an ihre Erfolge erinnert wird, nicht aber an Fehler und Schuld, die es auch in ihrem wie in jedem Leben gab.
Es ist immer noch wie zu meinen Schulzeiten: Die einen erhalten ein Lob, die anderen einen Tadel. Von den einen wird nur Gutes berichtet, von den anderen nur das Vergehen, das getadelt wird.
Auch wird leicht die Illusion erzeugt, als könne jeder und jede es im Leben auch zu etwas Ähnlichem bringen, wenn er oder sie sich nur genug anstrenge.
In der Bibel wird niemand so beschrieben, dass er oder sie für uns zu einer Heiligen oder einem Heiligen tauge, zu einem Vorbild, an dem es nichts zu tadeln gibt. Selbst Jesus würde ich nicht dazu rechnen, der seine Schüler doch aufgerufen hat, ihm nachzufolgen. Er hat ihnen zwar angekündigt, dass ihr Leben dadurch auch bedroht sein könnte und sie vor Gericht gestellt und verurteilt werden könnten. Aber er sagt nicht "Nehmt mein Kreuz auf Euch und tragt es Mir nach", sondern "Nehmt euer Kreuz auf Euch." Das heißt, nehmt das Schwere in Eurem Leben an. Das können nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse sein, die Arbeit, die Familie, sondern auch das eigene bisherige Leben, die eigenen Unzulänglichkeiten, die einem das Leben erschweren und die man gern loswerden würde bzw. gern nie gehabt hätte.